Ein Schuh gewordenes ``Fuck you``

Dr. Martens

 

Am 1.April 1960 wurde ein zukünftiger Kultschuh erfunden: der “Doc Martens“. Seine Kennzeichen sind die Tragbarkeit für Damen und Herren, vor allem aber die dicken Sohlen, die Säure und sogar Wasserwerfer-Attacken widerstehen.

Seit über 57 Jahren stiefeln die Schuhe der britischen Marke Dr. Martens durch die verschiedenen Jugendkulturen. Seit jeher geliebt von Punks oder Mods, haben es die Treter inzwischen in die Hochglanzmagazine geschafft. Dort sieht man sie nun bevorzugt an den Füßen schöner Frauen.

Der britische Arbeiterschuh ist historisch gesehen die populärste Fußbekleidung einer einzigen Marke und die am weitesten verbreitete. Kein anderer macht ihm diese Spitzenposition streitig.

Keira Knightley trägt Docs zu Röhrenjeans, Helena Bonham Carter, die sich selbst mal den Antichristen der Mode nannte, trägt sie zu ihren exzentrischen Schleifen-Walle-Tüll-Kreationen oder zu Schulmädchen-Look. Anfang der Nuller hüpfte Avril Lavigne in Docs zu „Skaterboy“, jetzt sieht man Chloë Sevigny mit „Darcie“, dem Dr. Martens mit Absatz, durch die Stadt jagen. Emma Roberts besitzt die Unisex-Klassiker, und Agyness Deyn bringt die Schuhe zurück in die Modeszene. Dicksohlige Docs statt High Heels von Louboutin.

Jeder, der irgendwann Docs besessen hat, erinnert sich an das erste Mal. Auch deshalb, weil es wehtut. Docs muss man eintragen, sie zähmen. Der Anfang dieser Liebesgeschichte ist schmerzensreich.

Man zeigt mit ihm, dass man auf der Straße lebt – auf jeden Fall aber, dass man es könnte.

Docs haben über Dekaden hinweg für Teenies alles bedeutet. Sie waren mit auf den Interrail-Touren quer durch Europa, sie verschreckten amerikanische wie französische Gasteltern, sie sorgten für sicheren Halt im Nahkampf der Red-Hot-Chilli-Peppers-Konzerte.

Ein Arbeitsschuh wird zum Klassiker der Popkultur

Kaum vorstellbar, dass ein Arbeitsschuh aus Deutschland sich zu einem solchen Klassiker der Popkultur entwickeln konnte. Aber die Doktoren verkauften ihre Idee an Bill Riggs aus Northampton. In England wiederum hatte man gerade den Teenager entdeckt. Dort passten die Schuhe des Arbeiters perfekt in den Zeitgeist.

Docs wurden die offiziellen Ausstatter der Mods, sie passten auch stilistisch zu den Lambretta-Motorrollern und den weiten Parkas. Die Mods verknüpften den derben Look der Arbeiterklasse mit scharf geschnittenen Anzügen. Pete Townsend, Gitarrist der Mod-Band The Who, sprang bei seinen Bühnenauftritten in Doc Martens herum, kickte das charakteristische Profil ihrer Sohlen beinahe bis in die Gesichter seiner Fans in den ersten Reihen. In der Verfilmung von „Tommy“, der ersten Rockoper von The Who aus dem Jahr 1975, steht ein sehr bunt gekleideter, ein sehr junger Elton John auf der Bühne in gigantischen kirschroten zwölflöchrigen Docs und singt „Pinball Wizard“.

Änderten sich die Zeiten, änderte man den Look, aber nie den Kern der Stiefel: Für die androgyne Ästhetik des Glam Rock der frühen 70er, die David Bowie prägte, besprühten die Anhänger ihre Docs mit silbernem Glitzerlack. Aber auch die Psychobillys, deren Look eine monströse Kombination sämtlicher Jugendkulturen war, trugen Dr. Martens. Die Marke AirWair, unter denen die Kollektion firmiert, ist seit Jahrzehnten inoffizieller Lieferant des Schwarzen Blocks der Linksautonomen, die Schuhe eignen sich eben perfekt fürs Leben im Freien – und sind wasserwerferresistent.

Und Joey Ramone trägt sie, über dessen Musik Jim Jarmusch gesagt hat: „Keine Band vor den Ramones traute sich, Texte für eine Jugend zu schreiben, deren Alltag sich maßgeblich um Burger-Läden und B-Movies dreht.“ Und Kurt Cobain, der abgefuckteste Musiker der jüngeren Vergangenheit, steht uns bis heute in den zerfransten Chucks von Converse vor Augen, aber auch er, der sich das Hirn ausblies, trug Gesundheitsschuhe vom Doc, als er am Rand der Bühne kauerte und schrie: „Rape me“.

Quelle: Welt.de

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